Der Klassiker ‘Maria Stuart’ wurde von Friedrich Schiller verfasst und im Jahre 1800 uraufgeführt. Es ist ein Werk der Weimarer Klassik, eine Epoche, welche sehr von den Schriftstellern Goethe und Schiller beeinflusst wurde. Die Epoche dauerte von 1786 bis 1805, dem Todesjahr von Friedrich Schiller. Die Weimarer Klassik nahm sich die antike römische und griechische Kultur zum Vorbild. Das Ziel der damals zeitgenössischen Schriftsteller war, die Menschen durch Kunst und Literatur zu erziehen, d.h. die Literatur wird als ein Mittel angesehen, um das Volk zu bilden. Die Seele der Menschen soll zu einer sogenannten 'schönen Seele' erzogen werden, eine Idee, welche aus der griechischen Philosophie stammt. Die Erziehung des Menschen ist dann abgeschlossen, wenn ein harmonisches Gleichgewicht besteht zwischen dem Charakter, also die persönlichen Wünsche und Ideen, und der Pflicht, d.h. was die eigentlichen Aufgaben des jeweiligen Menschen sind. Die Pflicht wurde auch ‘gute Tat’ genannt, darunter verstand man die Höflichkeit, Selbstlosigkeit und die Zuvorkommenheit. Durch gute Taten wurde der Charakter eines Menschen verbessert, es existiert demnach eine Wechselwirkung zwischen dem menschlichen Charakter und dessen Pflicht. Wenn man das Gleichgewicht zwischen, salopp ausgedrückt, ‘Wollen und Sollen’ erlangte, konnte man seine eigene Seele als eine schöne Seele betiteln, das Humanitätsideal in der Weimarer Klassik. Vor allem Schiller hat sich viele Gedanken zu der schönen Seele gemacht und wie man einen Menschen zu diesem Ideal erziehen kann. So kann man in seiner Schrift ‘Ueber Anmuth und Würde’ aus dem Jahr 1793 nachlesen, dass nicht nur eine gute Tat dieses Ideal der Seele ausmacht, sondern das Übergehen dieses Pflichtgefühls in die eigene Handlung. Man müsse also nicht mehr über eine gute Tat nachdenken, man handelt ohne zu überlegen entsprechend, da eine gute Tat vollbringen zu einem Charakterzug der Person geworden ist.
Literatur soll also helfen, den Menschen ästhetisch zu erziehen. Die Literatur kann als Erziehungsprogramm gesehen werden, da sie das Verständnis des Menschen für Schönes aufzeigen soll und auch das Gleichgewicht zwischen der Pflicht und der eigenen Wünsche. Die Literatur hat keine Absicht, möglichst realistisch zu sein, sondern soll die Komplexität des Menschen zeigen. Auch wird nicht mehr eine Moral in eine Geschichte verpackt, wie z.B. in der Epoche der Aufklärung, sondern der bewusst unrealistisch gestaltete Text soll Grundkonzepte vermitteln, um den menschlichen Charakter zu schulen.
In diesem zweiten Teil des Blogeintrages möchte ich meine Gedanken und Theorien zu dem Werk ‘Maria Stuart’ festigen. Dieser Text von Schiller wird der Weimarer Klassik zugeordnet und mein Ziel ist es, anhand des Charakters Maria Stuart, die fragile Harmonie zwischen Pflicht und Charakter zu zeigen. Insgesamt haben wir im Unterricht drei verschiedenen Konflikte isoliert: Maria (ihr innerer Konflikt), Elisabeth (v.a. politische Probleme, sie muss Maria beseitigen, um an der Macht bleiben zu können, darf dabei aber nicht ihre Machtbasis -das Volk- verlieren) und schlussendlich die Beziehung und der Machtkampf zwischen den beiden Königinnen.
Wie wir im Unterricht besprochen haben, besteht einer der Konflikte bei Maria selbst. Sie hat einen sog. inneren Konflikt, da sie ‘zwei Seiten’ in sich trägt: einerseits die Königin, andererseits die Frau. Ich interpretiere diese beiden Seiten der Figur folgendermassen:
Maria als Königin beschreibt, der Theorie nach, den pflichtbewussten Teil des Menschen, den ich im ersten Teil des Blogeintrages auch als ‘Sollen’ bezeichnet haben. Als Königin hat Maria Pflichten, sie muss rational denken können. Die Vernunft, der Verstand und die Logik sind zentral und formen ihre Entscheidungen.
Als Frau hingegen trifft Maria ihre Entscheidungen rein aus Emotionalität. Sie lässt ihren Charakter frei walten, d.h. ihre persönlichen Wünsche, das ‘Wollen’ ist hier der zentrale Gegenstand. Diese beiden Seiten stehen in Konflikt zueinander, da die Entscheidung einer Seite für die andere negative Folgen hat.
Die Harmonie zwischen Pflicht und Emotion des Charakter ‘Maria Stuart’ geraten im dritten Aufzug des Textes komplett aus Gleichgewicht. Maria und Elisabeth treffen im Schloss Fotheringhay aufeinander. Somit eröffnet sich Maria eine Chance, ihre Hinrichtung rückgängig zu machen. Zunächst spricht Maria als Königin zu Elisabeth: Sie versichert Elisabeth, ihren Anspruch auf den englischen Thron fallen zu lassen und bietet somit die politische Kapitulation an. Dies bezeichne ich als eine rein rationale Entscheidung von Maria, um ihr eigenes Leben zu retten. Doch als Elisabeth dann einen Themawechsel vollführt und Maria schwer beleidigt -Elisabeth macht Maria Vorwurf, nur Macht zu besitzen, dank der körperlichen Anziehung Marias auf Männer- gerät das Gleichgewicht zwischen Marias rationaler Seite und der emotionalen endgültig ins Kippen. Maria fängt an, Elisabeth anzuschreien und trifft aus Emotionalität die Entscheidung, lieber ihrem Wunsch zu gehorchen und Elisabeth zu sagen, was sie wirklich von ihr hält, als ihr eigenes Leben zu retten. Der Verlust der Harmonie, also des Gleichgewichtes zwischen den Seiten in Maria besiegelt ihr Schicksal, sie hat ihren einzigen Hoffnungsschimmer auf Begnadigung vertan und am Ende der Geschichte wird sie hingerichtet.
Das Beispiel des kurzen Kontrollverlustes soll also die Fragilität der Harmonie aufzeigen und die Menschen insofern erziehen, nicht die Kontrolle über seine eigenen Wünsche zu verlieren, da es zu unerwünschten Konsequenzen führen kann, in diesem Fall sogar zum Tod.
Quellen
Unterrichtsmaterialien "Epochen der deutschsprachigen Literaturgeschichte", sowie PowerPoint "Weimarer Klassik: Literarische Programmatik" von Markus Beutler, Gymnasium Kirchenfeld
'Maria Stuart' von Friedrich Schiller, Ausgabe der Suhrkamp BasisBibliothek , mit Kommentaren von Wilhelm Grosse, 9. Auflage 2020